Es war derselbe Ort, doch war er nicht zu vergleichen mit unserem ersten Besuch im Oktober 2009. Die Sonne schien und der Wind strich leicht über die grünen Weizenhalme.
Wir (Ich, Kim Gallop, Eddeanna Hixson-Moore, Raymond Otto McKee, John Meurs und seine Frau Carien) hatten uns mit Fritz-Otto Kreipe und Horst Swischenko verabredet. Letztere waren als Kinder Zeugen des Absturzes des amerikanischen Bombers bei Oerie.
Eddeanna und Raymond sowie John Meurs und seine Frau waren im Mai 2010 zu Besuch in Deutschland, genauer: zu Besuch in Oerie. An diesem Wochenende waren sie angereist, um am Sonntag auf dem Oerier Friedhof ein Denkmal einzuweihen. Dieses Denkmal wurde von der Familie McKee finanziert, die im Herbst des vergangenen Jahres auch in Oerie war und eben diesen Ort besucht hatte (Besuch der McKees).
In Oerie starben vor über 65 Jahren die Väter von Raymond und Eddeana. Raymond O. McKee und Charles E.Hixson waren zwei der neun Soldaten, die beim Absturz der "Ark Angel" ums Leben kamen. Und sie waren den weiten Weg aus den USA hierher gekommen, um der Zeremonie auf dem Oerier Friedhof beizuwohnen. Aber auch die Anwesenheit von John mit seiner Frau war etwas besonderes, den mit ihm wurde aus der vagen Suche nach Informationen über einen fast in Vergessenheit geratenen Bomberabsturz aus dem 2.Weltkrieg ein Zusammenkommen an einem besonderen Ort bei dem kleinen Dorf Oerie.
Und nun waren sie alle hier. Eddeanna, von ihrer Mutter nach ihrem Vater Eddi genannt, wurde knapp einen Monat nach dem Tod ihres Vaters am 25.Dezember 1944 geboren und hat, wie Raymond McKee, der im April 1945 geboren wurde, ihren Vater nie kennengelernt. Und so war es für die beiden ein besonderer Augenblick, an dem Ort zu stehen, an dem ihre Väter ums Leben kamen.
Die Begrüßung zwischen den Gästen aus den USA und der Schweiz und den beiden Augenzeugen war herzlich. Horst Swischenko hatte ein weißes Holzkreuz an die Stellen in das Weizenfeld gesteckt, an dem das ausgebrannte Wrack damals lag. Als wir das letzte Mal im Herbst hier mit den McKees zusammenwaren, da habe ich an diesem besagten Herbsttag auch zum ersten Mal auf Grund der Erzählungen der beiden damals 9- und 11-jährigen Jungen wirklch gespürt, dass dies ein besonderer Ort ist.
(Eddeana, Horst, Raymond und Fritz-Otto)
Allein durch die detailierten Beschreibungen der Absturzstelle und der Fundorte einiger Leichen realisierte ich die Besonderheit dieses Ortes. Und nun wies das Kreuz wirklich konkret auf eine konkrete Stelle auf dem Feld. Wie ein Kreuz auf einem Friedhof, dass die Grabstelle markiert.
Selbst für mich war das ein wirklich beklemmender Anblick, den nun war dieses Feld ein Ort, den man sonst nur als schlichten Acker wahrnahm, als Ort des Sterbens. Und auch ein Ort des Gedenkens. Horst Swischenko und Fritz-Otto Kreipe erzählten uns die Geschehnisse, die sie 1944 als Augenzeugen des Absturzes erlebten.
Und während wir uns angeregt unterhielten, schritt Eddeana, fast unbemerkt von den anderen, durch den grünen Weizen in Richtung des Kreuzes. Dort angekommen verweilte sie an der Stelle wo ihr Vater starb einige Minuten.
Es war eine ergreifende Szene. Und wieder einmal wurde mir bewusst, dass hinter jedem der über 50 Millionen Toten des Krieges ein persönliches Schicksal steckt, dass es Wert ist, erzählt zu werden.
Den Toten zur Erinnerung und den Lebenden zur Mahnung.
Oerie, im Juni 2011