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"Oerie ist ein kleiner Ort. Man geht wenige Schritte und blickt schon hinaus auf die weiten Felder. Von dort ist auch Hinrich Mummentey, Bruder von Hans Mummentey und Onkel von Curt, nach kräftezehrender Arbeit auf seinen Hof zurückgekehrt...."

Folker Wagner-Hett aus Hannover erzählt auf seiner Internetseite www.folker-wagner-hett.de die Geschichte seiner Vorfahren, den Mummentheys. Ein Kapitel im Leben der Mummentheys spielt in Oerie.


Von Hüpede führt eine schmale, unauffällige Straße nach Oerie.

Ein kleines Dorf mit wenigen, meist großen Höfen. In einer Biegung der Dorfstraße ein verwunschener Bauerngarten, Dahlien, Chrysanthemen,Tränende Herzen, Apfel- und Birnbäume, die Erde eines Beetes noch feucht und glänzend, Gartengerät gerade eben benutzt....

Keine der Fotografien bringt den Zauber des Gesehenen zurück so, wie es die Errinnerung bewahrt hat.

Zu Oerie geben schon vier Quellen Auskunft: die Musterungsrolle von 1592, das Calenberger Hausbuch von 1592, das Kirchenbuch der Hüpeder Kirche und die Kopfsteuerbeschreibung von 1686/89.

Wenn auch nicht alle Daten widerspruchsfrei zusammenpassen, so ergibt sich doch ein Bild, daß beispielhaft das Werden und Vergehen von Namen und Familien auf den Bauernhöfen im Calenberger Land beschreibt.

Die beiden Hanß Mummentey in Hüpede und Oerie um 1592 mögen verschiedene oder identische Personen sein, der Eheschließung, zwei Generationen später, am 14. Januar 1651: Hans Mommentey ehelicher Sohn und Engel Hinrich Hogrefe ehel. Tochter copulieret folgt am 2. Januar 1652: Hans Mommentey ein Söhnlein getauft nahmenß Cord.

Dieser Curt Mummentey, Sohn von Hans Mummentey und Enkel von Hans Mummentey hat nach der Kopfsteuerbeschreibung einen Halbmeierhof von 27 Morgen. Das entspricht der Hofgröße des Oerier Hanß Mummentey von 1592: einen Hof und 1 Huefen Landes vom Hospital dem heiligen Geist zue Hannover.

Kurt Mummentey heiratet mit 34 Jahren am Johannistag 1686 Anna Wulfes in Bothfeld. Anna ist am Tag der Hochzeit 25 Jahre - als sie 1737 mit 77 Jahren stirbt, war sie elfeinhalb Jahre mit ihrem ersten Mann, Curt Mummenthey, und 39 Jahre mit ihrem zweiten Mann, Henny Rössing, verheiratet. Sie hat vier Kinder aus der ersten Ehe, drei Töchter und einen Sohn, der schon 1717 stirbt. Mit ihm stirbt die männliche Linie der Mummenteys in Oerie aus.

Möglich, daß es noch Quellen gibt, die auch die Erzählung eines alten Herrn aus Hüpede belegen, der von seinem Vater berichtete, welcher bei bestimmten Gelegenheiten Aussprüche des alten Schäfers Mummentey zitierte.

Mit einem geschätzten Geburtsjahr 1850/60 dürfte es sich aber eher um eine Rückwanderung des Namens aus dem Lühnder und dem Groß- und Klein-Lobker Gebiet handeln, für die auch verwandtschaftliche Beziehungen zum Grasdorfer und Rethener Bereich belegt sind.

Oerie ist ein kleiner Ort. Man geht wenige Schritte und blickt schon hinaus auf die weiten Felder.

Von dort ist auch Hinrich Mummentey, Bruder von Hans Mummentey und Onkel von Curt, nach kräftezehrender Arbeit auf seinen Hof zurückgekehrt.


Hinrich heiratet am 26. November 1667 in Oerie, den Namen seiner Frau konnte ich nicht mehr bestimmen, an einigen Stellen war das Kirchenbuch durch Lagerschäden unleserlich geworden.

Vielleicht hat er in eine Bauernstelle eingeheiratet oder den Hof nur als Interimswirt geführt.

Seine Frau stirbt nach fast elf Jahren Ehe zehn Tage nach der Geburt ihres zweiten Sohnes am 24. Juli 1678 in Oerie.

Der kleine Jost Mummentey hatte nach dem Tod seiner Mutter wohl noch weniger Chancen als der schon im Januar 1672 im Alter von zwei Jahren gestorbene Bruder Diedrich.

Ich durchquere das Dorf einige Male in alle Richtungen, die Vergangenheit liegt so nah und ist doch so weit entfernt. Hinter einem Zaun, auf einer kleinen Wiese im Auslauf eines großen Backsteinhauses ist eine große Tafel gedeckt.

Fröhliches Stimmengewirr und Jauchzen von vergnügt spielenden Kindern klingt herüber. Feste und Feiern waren die Abwechslungen, die ein hartes und von Entbehrungen gezeichnetes Leben erträglich machten.

Hinrich Mummentey heiratet später in Jeinsen Lucie Brandt, die Witwe von Wedekind Gott. Seine 1675 geborene Tochter Maria aus erster Ehe wird in der Kopfsteuerbeschreibung (1686) mit den Kindern Cord (22 J.), Hans (19 J) und Ilse Gott (16 J.) genannt.

Die 1673 geborene Tochter aus erster Ehe, Ilsebeth, ist zu dieser Zeit mit 13 Jahren Kleinmagd in Jeinsen bei Martin Sievers und Anna Gott. Ilsebeth Mummenthey wird später Hinrich Hogrefe, vielleicht ein Bruder Engel Hogrefes, heiraten, der 1686 noch mit Ilse Brant als Ehefrau und einem Sohn von eineinhalb Jahren genannt wird. Das Hüpeder Kirchenbuch verzeichnet Anno 1723 den 30. Mai Ilsebeth Mummenthey Hinr. Gogrevens Frau alt 50 J. Hinrich Mummenthey ist 1689 Gevatter des einzigen Sohnes von Curt Mummentey, Hinrich, der am 15. Dezember 1717 im Alter von 28 Jahren stirbt.

Oerie habe ich immer bei Sonnenschein besucht, freundliche helle Bilder, die sich mir eingeprägt haben.

Wie ist es im Herbst und Winter, wenn der Wind über die Ebene pfeift und die Landschaft von dem grauen Himmel erdrückt wird?

Eine Häufung der Todesfälle in den Wintermonaten läßt sich aus dem Kirchenbuch ablesen, sterben sie nicht schon als Kinder, dann als Zwanzig- oder Dreißigjährige.

Die harte Arbeit und die Hoffnungslosigkeit als zweit- oder drittgeborene, je einen eigenen Hof zu erlangen und so aus der Abhängigkeit zu entkommen, fordern ihren Tribut. Diedrich Mummentey stirbt mit dreißig Jahren, begraben am 1. Juni 1699 in Oerie, 1686 ist er Pflugjunge auf dem Hof seines Bruders. Die Verpflichtung, nahe Verwandte auf dem Hof mit zu versorgen, konnte auch zur Last werden, was nicht nur dem Hofbesitzer einsichtig war.


Vielleicht sind die Frauen etwas lebensstärker, allerdings stirbt die alte Mummenteysche, Engel Hogrefe, Hans Mummentey Relicta schon mit 51 Jahren, während Tochter Anna sehr ungesund (20 J) {1686} mit 65 Jahren ein nahezu biblisches Alter erreicht. Hans Mummentey wird 51, sein Sohn Curt 45 Jahre alt.

Seine Schwester Engel Mummentey, 1686 bei Pastor J.H. Hahne in Hüpede Großmagd, erreicht ein Alter von 48 Jahren. Für die dreizehn Familienmitglieder deren Geburts- und Sterbedaten bekannt sind, ergibt sich ein Durchschnittsalter von 35 Jahren, neun von ihnen sterben in den Wintermonaten.

Bei der Arbeit mit dem Kirchenbuch, reihen sich die Daten zuerst nur undeutlich in einen zeitlichen und familiären Zusammenhang ein.

Ich freue mich über die Funde und kann gar nicht schnell genug notieren. Dann gewinnt hinter der Reihung das Leben der Menschen an Kontur, sie werfen einen Schatten über die nüchternen Zahlen hinaus, auch auf die eigenen Erinnerungen, eine Kindheit im Dorf Schoningen, in dem sich meine soziale Identität, von der Person meines Großvaters Georg Mummenthey ableitete.

Ich gehe noch einmal nachdenklich durch Oerie, betrachte jede Hofstelle und schreite alle Straßen ab, blicke über das Land: "Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blühet wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr". Diese beiden Verse des Psalms 103 werden auch die Oerier Mummenteys auswendig gewußt haben.

Der Himmel hat sich bezogen, ein Gewitter kündigt sich an. Die ersten Regentropfen fallen als ich mein Auto am Dorfanger erreiche.....